Der Guttenberg

Ich bin ein phlegmatischer Mensch. Ich rege mich vergleichsweise selten auf, und sogar dann nur sehr ineffektiv. Vieles geht an mir einfach vorbei und ist mir egal. Ich glaube, ich habe einfach nicht die mentale Ausrüstung für Leidenschaft.

Wenn mich doch einmal etwas aufregt, dann lest ihr das in der Regel hier in meinem Blog. Und was mich gerade aufregt: Die Sache mit dem Guttenberg.

Screenshot der Facebookseite "Gegen die Jagd auf Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg", 19. Februar 2011

Dazu müsst ihr von Anfang an wissen, dass ich das ganze Konstrukt „Adel“ dermaßen abstoßend finde, dass ihr keinerlei objektive Behandlung der Sache und der Person erwarten dürft. Schon allein die Vorstellung, jemand wird als „etwas Besseres“ geboren, ist mir in Mark und Knochen zuwider.

Genauso wenig mag ich Politiker. Es ist unanständig, wie viele Politiker ihre Posten ausnützen und sich eine goldene Nase damit verdienen, mit ihren öffentlichen Auftritten, ihren Vorstandsposten, ihren lukrativen Verträgen mit Unternehmen, die sie auch nach ihrer aktiven Zeit noch beschäftigen.

Die Kombination Adel & Politik ist also von Haus aus sehr dazu geeignet, meinen Unmut zu erregen. Die Plagiatsvorwürfe haben mich dementsprechend nicht wirklich überrascht. Ich gehe nämlich davon aus, dass Politiker von Haus aus glauben, dass sie mit allem Möglichen durchkommen. Das ist keine Folge des Politikerdaseins, sondern die Vorbedingung.

Ich bin seit langer Zeit der Meinung, dass es um dieses unsere Land so schlimm bestellt ist, weil die Politiker keine Ahnung vom „wirklichen Leben“ haben. Wie sollen sie auch? Ihre Eltern sind Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Richter, Industrielle, sie selbst studieren natürlich auch Jura oder Wirtschaft, und vor allem wachsen sie in dem Bewusstsein auf, dass sie etwas zu sagen haben und das gemeine Volk nur atemlos darauf wartet, ihre wertvolle Meinung zu hören. Für Adlige ist es noch schlimmer, denn sie ächzen ja praktisch unter der Last ihres hochwertigen Erbguts und der Befähigung zum Führen der Menschen, die ihnen anstelle von Blut in den Adern fließt.

Wann hatten wir denn das letzte Mal eine Metzgerstochter, einen gelernten Elektriker oder einen Lastwagenfahrer als Politiker/-in auf Bundesebene? Oder gar als Minister/-in? Oder Kanzler/-in? Egal, darüber kann ich mich ein anderes Mal aufregen.

Zurück zur Affäre Guttenberg. Was haben wir also hier? Einen privilegierten Mann, der sein Studium vermutlich unbelastet von materiellen Sorgen absolvieren durfte. Kein Kellnern am Abend und am Wochenende, keine Schichten in der Fabrik in den Semesterferien, keine Nachhilfestunden für Gymnasiasten, kein Babysitten, gar nichts.

Laut der Berichterstattung ist es ihm trotzdem schwergefallen, die Doktorarbeit zu vollenden, weil er eine junge Familie und eine junge Karriere als Politiker an der Backe hatte. Das kann man durchaus nachvollziehen. Was aber weder nachzuvollziehen noch entschuldigbar ist: Wenn er die Arbeit anderer Menschen stiehlt und als seine eigene ausgibt. Aktuell scheint genau das kaum mehr zu bestreiten sein, nicht nur die Süddeutsche berichtet darüber, dass in der Doktorarbeit ganze Seiten ohne Quellenangabe von anderen Autoren übernommen wurden.

Wenn die Dreifach-Belastung durch Familie, Job und Doktorarbeit (mit der auch viele andere fertig werden müssen, die noch dazu in vielen Fällen finanziell weniger gut dastehen) so schwer war, warum dann nicht einfach auf die Doktorarbeit verzichten?

Falls die Doktorarbeit doch so karriereentscheidend war, dass er nicht auf sie verzichten konnte: War es dann schlau, die Karriere auf Lügen und Diebstahl aufzubauen? Ist es schlau, sein Leben als Person des öffentlichen Interesses auf einem Plagiat aufzubauen?

Was ich jetzt sage, ist für Nichtstudierende vielleicht neu: Um zu studieren und eine Doktorarbeit, oder auch schon vorher eine Magisterarbeit, eine Diplomarbeit, eine Bachelor- oder Masterarbeit zu verfassen muss man nicht übermäßig intelligent sein, ich hab’s schließlich auch geschafft. Man muss willens sein, sich ein bisschen anzustrengen, und man muss sich an die Regeln für die Arbeit halten.

Natürlich verlangen die Professoren ein bestimmtes Niveau, auf dem die Arbeit sich zu bewegen hat, wenn man sich aber vorher durch das Studium geackert hat, ist das kein Teufelswerk. Die Abschlussarbeit auf jeder Ebene muss vor allem selbst verfasst sein, denn sie soll ja schließlich bestätigen, dass man im Stande ist, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten, eigenen Schlüssse zu ziehen, Quellen und Information zu sichten und einzuordnen.

Was aber ist, wenn jemand plagiiert? „Ist das wirklich so schlimm?“ werden manche fragen. Ja. Ist es. Weil ihr dann nicht nur gestohlen habt – nämlich das geistige Eigentum und die Arbeitsleistung eines anderen Menschen. Ihr zeigt damit auch, dass ihr findet, die Regeln gelten nicht für euch.

„Es war vielleicht nur ein Versehen, das ist doch nicht so schlimm!“ sagen jetzt manche vielleicht. Nein. Das ist schlimm. Denn das beweist, dass ihr einfach nicht gut genug seid, ihr beweist praktisch selbst, dass ihr kein Recht habt, diesen akademischen Titel oder Grad zu tragen.

Absicht oder Versagen, so oder so habt ihr das mit dem Titel verkackt. Zu Recht.

Würdet ihr das denn in anderen Fällen hinnehmen? Würdet ihr sagen, ach, mein Arzt hat zwar bei der Abschlussprüfung beschissen, aber egal, der ist immer so großzügig mit Krankschreibungen? Der Busfahrer meiner Kinder hat gar keinen Führerschein, aber macht ja nix, der hat so volles Haar? Der Metzger hält sich nicht an die Hygienevorschriften, aber seine Frau ist so kinderlieb? Der Briefträger bringt nur ab und zu mal die Post, und manche Briefe macht er auf, aber macht ja nix?

Wäre es eine eine Hetzkampagne, wenn man sich über einen anderen Berufstätigen beschwert, „nur“ weil er betrogen hat? Zumal wenn dieser Berufstätige den „Anstand“ und die „Ehrlichkeit“, die ihm ja  zudem kraft seiner edlen Abstammung im Blut liegen soll, wie eine Flagge vor sich herträgt?

Warum sollte es also bei Karl-Theodor zu Guttenberg eine Schmutzkampagne sein, wenn jetzt Aufklärung dieser Vorwürfe verlangt wird? Wir, seine Arbeitgeber, verlangen zu wissen, ob er ein Betrüger und Lügner ist, der sich zu Unrecht „Verantwortung verpflichtet“ in den Seitentitel seiner Homepage geschrieben hat. Das scheint mir nicht vermessen zu sein.

Und trotzdem gibt es aufgeregte Fans, die nicht glauben wollen, dass jemand mit einer so ordentlichen Frisur ein Plagiarist sein soll. Deswegen haben sie eine Facebook-Seite angelegt: „Gegen die Jagd auf Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg“. Zum Glück entlarven sie sich selbst mit lachhaften Argumenten wie „Der hat ja nie mit dem Titel rumgeprotzt, der hat das gar nicht nötig zu betrügen!“ (siehe Screenshot oben). Klar. Ich würd auch nicht mit einem Doktortitel angeben, wenn ich bei der Doktorarbeit plagiiert hätte.

Ich frage mich, wer diese Leute überhaupt sind. Ich vermute, es sind die gleichen, die Fußballer der Gegenmannschaft nach einem Regelverstoß am liebsten direkt an den nächsten Baum tackern möchten; und es sind vermutlich die gleichen Leute, die Ulla Schmidt am liebsten gelyncht hätten, als sie sich dumm, aber meiner Erinnerung nach vollkommen legal mit ihrem Dienstwagen in den Urlaub hat chauffieren lassen.

Wer Spaß an Ironie hat, findet ein bisschen Trost darin, dass die Fans dieser Seite so messerscharf geschliffen argumentieren wie „Der ist ein smarter Typ, deswegen kann das nicht gewesen sein“ oder „Außerdem sind die anderen Politiker nur neidisch, dass Herr Gutenberg der beliebteste Politker ist.“

Für seine Eignung als Verteidigungsminister macht es absolut keinen Unterschied, ob er einen Doktortitel hat oder nicht, summa cum laude oder sonstwie. Schließlich war das nicht die Prüfung für den Verteidigungsministerschein.

Aber eine Aufklärung der Plagiatvorwürfe zu fordern, das hat nichts mit einer Hetzkampagne gegen zu Guttenberg zu tun. Es geht um akademische Ehrlichkeit, und, wenn euch das schon nichts bedeutet, es geht auch darum, ob wir es hinnehmen müssen oder wollen, dass unser Verteidigungsminister unfähig oder unwillens ist, sich an die Spielregeln zu halten.

Diese Spielregeln sind nicht einfach willkürlich aufgestellt worden, sie sorgen dafür, dass jeder prinzipiell die gleiche Chance hat. Sie gelten für alle Studierenden, sie gelten für die Töchter von Postbeamten, für Töchter, deren Eltern ihnen ihr Studium nicht finanzieren, weil sie dagegen sind, für die Söhne von Theologen und Metzgern und Maurern, für die Kindern von Professoren und Hartz-IV-Beziehern. Die Ausgangssituation im Spiel sind unterschiedlich, die Regeln sind aber für alle gleich und in diesem Sinne also demokratisch.

Wenn ihr jemandem die Gewalt über die Bundeswehr geben wollt, der sich nicht an die banalsten Spielregeln halten kann oder will und nichts von Demokratie und Ehrlichkeit hält, nur zu.

Ich halte es für unerträglich.

5 Gedanken zu „Der Guttenberg

  1. Wo ist hier nur der Button „JAWOLL! SO IST ES“? Keiner da? Naja, dann schreib ich es halt drunter: „JAWOHL! SO IST ES!“ Es kann doch nicht sein, das man einen Doktortitel „ruhen“ lässt! Entweder man hat ihn ehrlich erworben und man behält ihn oder eben nicht, dann gibt man ihn ab! Ich habe langsam die Meinung, das diese Leute, die Politiker nach dem Aussehen wählen, diejenigen sind, vor denen wir am meisten Angst haben müssen.

  2. Der „ruhende“ Doktortitel ist bestenfalls ein schlechter Scherz — ein Doktortitel ist Bestandteil des Namens, den kann man genausowenig ruhen lassen, wie einen Vornamen. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass man ihn von sich aus ablegen könnte. Natürlich könnte man den Betrug zugeben und der Universität auf diese Art ermöglichen, einem den Titel ohne viel Theater abzuerkennen. Aber dazu bräuchte man Format.

  3. .

    Und wer das ok findet, daß er seinen Doktortitel „vorübergehend ruhen lässt“, hat auch sicher nichts dagegen, daß ein Dieb seine Beute vorübergehend nicht anfasst.

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